‚„Wissen wir wirklich, ob Hannibal über die Alpen gegangen ist?“, fragt Graf Czernin. „Waren Sie dabei? Ich auch nicht. Aber es steht überall. Wir lesen es, und dann schreiben wir es. Deswegen stimmt es. Nur deswegen. Selbst wenn Hannibal nie aus seinem Geburtsort herausgekommen wäre, für die Geschichte ist er über die Alpen gegangen, also auch für uns. Und Punktum. Verstehen Sie?“‘ Gebannt lauschen die Besucher und Besucherinnen der Lesung des Autors Hans von Trotha, der Auszüge aus seinem Buch „Czernin oder wie ich lernte, den Ersten Weltkrieg zu verstehen“ wiedergab.

In seiner Präsentation war zu hören, was auch aus Sprache und Inhalt des Buches herauszulesen ist: Dem Autor hat es offensichtlich große Freude gemacht, das Werk zu verfassen, es war ihm ein Anliegen. Dies ist jedoch nicht weiter überraschend – hat Trotha doch ein Stück Familiengeschichte aufgearbeitet, indem er sich seinem Urgroßvater Graf Ottokar Czernin gewidmet hat, jenem österreichischen Außenminister des Ersten Weltkrieges, der letzten Endes über die Sixtus-Affaire „stolperte“, nachdem er sich die Kaiserin zur Feindin gemacht hatte.

Trotha verpackte seine Geschichte aber nicht in eine trockene historische Dokumentation, sondern er erschuf ein Alter-Ego namens Max von Andersleben, der 1991 in Berlin über seine Großmutter mit der Vergangenheit seines Urgroßvaters konfrontiert wird – hier kommt mit dem Mauerfall und dem Wechsel der Bundeshauptstadt ein zweites historisches Ereignis parallel als zweite Zeitebene mit ins Spiel. Max erforscht Dokumente, Briefe und andere Spuren zur Vergangenheit des Grafen – und er ist offenbar nicht der einzige, der daran interessiert zu sein scheint, denn es geht um die Wahrheit, um Geschichte. Damit wechselt der Historiker in das Genre des historischen Romans, wenn nicht des Abenteuerromans.

Trotha, der sowohl Geschichte als auch Literatur studiert hat, ist selber der Überzeugung, dass zwischen Geschichte und Roman allenfalls ein gradueller Unterschied bestehe. Er glaube nicht an eine Realität, sobald man schreibe, schreibe man Fiktion. Selbst den Dokumenten, auf die er sich in seinem Buch bezieht, glaube er nicht uneingeschränkt – habe er doch etwa während seiner Recherchen herausgefunden, dass zumindest eines davon unter Druck zustande gekommen sei, was der Geschichte eine ganz andere Wendung gäbe.

Mit viel Freude und Finesse baut Trotha seine eigenen Zweifel an der historischen Wahrheit immer wieder in seinem Buch ein, so etwa wenn er den Adjunkten an der Telegrafiermaschine darüber nachdenken lässt, er würde die Nachricht einer gewonnenen Schlacht nicht ins Hauptquartier und zu Seiner Majestät telegrafieren – „dann wäre die Schlacht umsonst geschlagen worden, für den Kaiser, für die Welt, für die Geschichte hätte es sie nicht gegeben“ oder wenn er Graf Czernin philosophieren lässt: „Schauen Sie, wenn wir zwei uns heute Abend an dieses Gespräch erinnern, dann erinnern wir uns an zwei völlig verschiedene Dinge. Und wenn wir es in zehn Jahren aufschreiben und sagen, so war es, ich war ja dabei, dann erzählen wir Geschichten. Wir schreiben Romane. Nennen Sie es, wie Sie wollen. Es werden zwei verschiedene Geschichten sein. Aber nur eine werden sie die Geschichte nennen. Und darauf kommt es an. Von Anfang an die Hoheit über die Deutung behalten. Die Geschichte nicht nur machen, sondern auch gleich schreiben.“

Trotha, der selber sagt, dass rund die Hälfte des Buches über Gespräche mit seiner eigenen Großmutter, Recherchen, Dokumente, Bücher etc. „in Erfahrung gebracht“ wurde und die andere Hälfte ausgedacht ist, eröffnete die Lesung mit „drei Bemerkungen vorab“, die auch hier dem Leser auf dem Weg mitgegeben werden: „Es ist ein Roman. Es ist ein Roman. Es ist ein Roman.“

INFOS

Hans von Trotha wurde 1965 in Stuttgart geboren. Er hat in Heidelberg und Berlin Germanistik, Geschichte und Philosophie studiert und promovierte über die gegenseitige Beeinflussung von Literatur, Philosophie und Gartenkunst im 18. Jahrhundert. Nachdem er für den Rundfunk und verschiedene Zeitungen publizistisch gearbeitet und Lehraufträge an der Freien Universität übernommen hatte, kam er 1998 zunächst als Lektor, ab 2000 als Verlagsleiter zum Niolai Verlag. Diese Funktion übte er gut zehn Jahre aus, heute arbeitet er selbstständig als Publizist und Berater im Kulturbereich und lebt in Berlin. Neben seinem aktuellen Buch hat er auch „Lexikon der überschätzten Dinge“, „Garten Kunst: Auf der Suche nach dem verlorenen Paradies“ und „Der Englische Garten. Eine Reise durch seine Geschichte“ verfasst.

DAS BUCH

Hans von Trotha
„Czernin oder wie ich lernte, den Ersten Weltkrieg zu verstehen“
Nicolai Verlag
495 Seiten